Kyritz an der Knatter. Das klingt für Nichteingeweihte, als hätte Münchhausen persönlich diesen Ort erfunden. Weit gefehlt. Das Städtchen in Brandenburg und seine angrenzenden Kommunen sind täglicher Arbeitsplatz von Matthias Anke, Lokalredakteur der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ).
Schon der Name führt in die Irre. Knatter ist kein Fluss. Geknattert haben in Kyritz an der Knatter früher Wassermühlen an einem Nebenarm der Jäglitz. Aber der Reisende von weit her kann sich auch verirren, weil die Stadt keinen unmittelbaren Autobahnanschluss hat. Beim Weg über Land macht das Navi schlapp. Wegen der Funklöcher.
Wenn Matthias Anke sagt, „es geht darum, anzukommen“ – dann hat das fast eine doppelte Bedeutung: Seit 2006 ist er bei der Märkischen Allgemeinen, seit sechs Jahren in der Lokalredaktion in Kyritz an der Knatter. Geboren in Südbrandenburg, aufgewachsen in Potsdam, Studium in Berlin: Während seines Volontariats, das er in der Mantelredaktion in Potsdam und verschiedenen Lokalteilen absolvierte, hat er sich nach Ratssitzungen abends noch auf den Weg gemacht. In die Bundeshauptstadt, wo der Bär steppt.
Vom Toppolitiker zum Geflügelzüchter
Zwischen Berlin und Kyritz liegen Welten. 9000 Einwohner hat die Stadt, zu den größten Arbeitgebern gehören das Finanzamt, das Klinikum, die Stärkefabrik und Metallbauer Alutrim. Letztgenannten Betrieb hat kürzlich der Landeswirtschaftsminister besucht: Das Unternehmen fertigt Zierteile für namhafte Autohersteller wie Audi, BMW, Ford, Mercedes und sogar Rolls-Royce. „An einem Tag interviewe ich einen hochkarätigen Politiker. Und am nächsten Tag schreibe ich über einen Hobby-Geflügelzüchter, dem ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit 50 Gänse gestohlen worden sind.“
Matthias Anke mag dieses Spannungsfeld. „Draußen bei den Menschen sein“, Schicksale aufgreifen, aus vielen Blickwinkeln darstellen. Wie bei Inge Hering, der blinden Akkordeonspielerin, die für ihre Auftritte in der Region bekannt ist. Ihren oft mühsamen Alltag – abseits der Öffentlichkeit – hat er in einer detailreichen Geschichte aufgeschrieben.
Lokalredaktion bedeutet, dass plötzlich Bürger in der Tür stehen mit ihren Anliegen. Oder sich telefonisch beschweren, weil eine Kreuzung aufwendig zu einem Kreisverkehr umgebaut wurde und sie sich nun nicht mehr sicher fühlen. „Gerade unsere älteren Leser sind mit dem Rad unterwegs.“
Ankes Idee: Die Praktikantin sollte gemeinsam mit einem Fahrlehrer solche gefühlt kritischen Verkehrspunkte in der Stadt unter die Lupe nehmen und sie aus Expertensicht kommentieren lassen. „Daraus haben wir eine kleine Serie gemacht.“
Mit differenziertem Blick in Kyritz an der Knatter
Der MAZ-Redakteur legt Wert darauf, genau hinzuschauen. Wenn das Glück in Deutschland vermessen wird und Brandenburg auf dem vorletzten Platz landet, entscheidet er sich für den differenzierten Blick. Ostdeutschland lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Selbst in der Region gibt es große Unterschiede.
Neustadt an der Dosse heißt eine verschuldete Kommune, über die Anke berichtet: Dort ist trotz millionenhoher Landeszuschüsse nicht klar, wie man den Eigenanteil zur Sanierung der Schule aufbringen soll. Ein paar Kilometer weiter sieht die Welt ganz anders aus. In anderen, viel kleineren Gemeinden stehen lukrative Windparks, „die könnten vieles aus der Portokasse bezahlen“.
Auf der Suche nach Storys zählt Initiative. So hat Matthias Anke etwa gesehen, dass der Pegelstand des Obersees auffallend hoch ist. Darum hat er sich mit dem Talsperrenmeister verabredet. Dieser erklärt ihm, wie mithilfe von Wehren der Wasserstand reguliert, aber auch die Landwirtschaft versorgt werden kann. Und dass der Damm endlich saniert werden muss.
2017 hat es viel geregnet. „Dann noch der Sturm – es war ein extremes Jahr“, sagt der Talsperrenmeister. Drei Brigaden hätten umgeknickte Bäume, Holz und Gestrüpp beiseiteräumen müssen. Kurz darauf stößt Kollege André Reichel dazu: Er lässt eine kamerabestückte Drohne aufsteigen. Seit er sie einsetzt, kann die Redaktion ihren Lesern beeindruckende Luftaufnahmen aus der Region präsentieren.
Landschaft als Kulisse
Zwölf Jahre seines Lebens hat Matthias Anke in Berlin gelebt, dort, „wo es am lautesten ist“. Jetzt bricht er eine Lanze für die Natur, dazu gehört auch die Kyritzer Seenkette. „Das gefällt mir, weil ich Angler bin.“ Bei der alljährlichen Radrundfahrt „Tour de Prignitz“ der MAZ hat er vergangenes Frühjahr mal wieder selbst mitgemacht und sechs Tage lang vom Sattel aus den Liveticker bestückt.
Landschaft und Dörfer dienen immer wieder als Filmkulisse. „Das weiße Band“, später mit höchsten Preisen ausgezeichnet, wurde hier gedreht. Auch „Honig im Kopf“ mit Dieter Hallervorden oder „Der junge Karl Marx“ mit August Diehl.
Anke erzählt, dass einerseits Häuser verfallen, andererseits auch viel neu gebaut wird. Hauptstädter ziehen hierher, weil es mit dem Zug bis Spandau nur 40 Minuten sind. Auch er hat in Kyritz an der Knatter eine neue Heimat gefunden. Matthias Anke sagt: „Wenn man gelandet ist, sitzt man gut.“
Weitere Einblicke in den lokalen und überregioanlen Journalismus gibt es im Blog der MADSACK Mediengruppe.