Zuerst kam ein anonymer Brief, am Ende trat der Oberbürgermeister zurück. Die Journalisten Andreas Schinkel und Karl Doeleke begleiten seit 2017 die Rathausaffäre. Hier erzählen sie die Geschichte aus ihrer Sicht.
Seit Oktober 2017 sorgt eine Affäre für Unruhe im hannoverschen Rathaus. Es beginnt mit einem Disziplinarverfahren gegen den damaligen Personal- und Kulturdezernenten der Stadt. In den nachfolgenden Monaten werden neue Details und Vorwürfe bekannt, unter anderem soll es in der Führungsetage zu rechtswidrigen Gehaltszahlungen gekommen sein.
Zwischenzeitlich wirft Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) vor, sich illegalen Zugang zu Ermittlungsakten verschafft zu haben. Gegen den Rathauschef erhebt die Staatsanwaltschaft im April 2019 Anklage, es folgt der Rücktritt des Oberbürgermeisters.
Die beiden HAZ-Redakteure Karl Doeleke und Andreas Schinkel haben die Unregelmäßigkeiten in der Stadtpolitik aufgedeckt und die „Rathausaffäre“ anderthalb Jahre lang begleitet. Wie recherchierten sie die Geschichten und bohrten immer weiter? Wie reagierten sie auf die Anschuldigungen aus dem Rathaus? Und ist die Affäre nun für sie beendet? Im Interview erzählen die beiden Journalisten die Geschichte aus der journalistischen Perspektive.
Die Chronologie der Rathausaffäre finden Sie übrigens auf haz.de.
Rathausaffäre in Hannover: Die Redakteure Karl Doeleke und Andreas Schinkel im Interview
Wie begann die Geschichte für Sie?
Andreas Schinkel: Anonyme Briefe erreichen die Redaktion recht häufig, aber dieser war anders. Angereichert mit etlichen Details aus dem inneren Zirkel des Rathauses beschrieb der Verfasser, wie ein Personaldezernent seiner Geliebten vermeintlich eine Stelle verschaffen wollte. Das war Anfang Oktober 2017. Ich griff zum Telefon, die Pressestelle der Stadt wimmelte mich ab, Politiker zuckten die Achseln, Ratlosigkeit.
Ein paar Tage später rief mich ein Informant an und berichtete aus einer vertraulichen Sitzung im Rathaus: Oberbürgermeister Stefan Schostok werde ein Disziplinarverfahren gegen Personaldezernent Harald Härke einleiten. Ein Paukenschlag.
Später kam es zu ersten Verwerfungen innerhalb des Mehrheitsbündnisses von SPD, Grünen und FDP. Die Grünen hielten zu Härke, SPD und FDP wollten den Dezernenten loswerden. Danach entstanden immer mehr Gerüchte. Eines davon: Das Disziplinarverfahren sei wohl ein Racheakt des OB-Büroleiters Frank Herbert für nicht genehmigte Gehaltszulagen gewesen.
Karl Doeleke: Ich bin erst etwas später dazu gestoßen. Im Frühjahr 2018 hielt sich hartnäckig eben dieses Gerücht, dass es vermutlich ein Problem mit der Bezahlung des OB-Büroleiters geben könnte und dass die Stadtspitze darüber nicht die Wahrheit sagt. Das wollten wir mit zusätzlichem Rechercheeinsatz klären.
Wie haben Sie die Geschichte über die letzten anderthalb Jahre begleitet?
Karl Doeleke: Das war zum Teil recht fordernd, aber auch interessant und manchmal verwirrend, weil es widersprüchliche Informationen gab, manchmal auch gezielte Desinformation. Aber Andreas und ich haben uns da im Team gut ergänzt. Andreas hat die besseren Kontakte im Rathaus. Als Jurist kann ich Gesetzestexte ganz gut lesen, habe mich durch die Besoldungsvorschriften gewühlt – und hatte den einen oder anderen Kontakt außerhalb der Ratspolitik.
Andreas Schinkel: Es klingt vielleicht altmodisch – aber wichtigstes Rechercheinstrument ist für uns in solchen Fällen das Telefon. Oft geht es darum, mit Politikern und anderen Informanten ins Gespräch zu kommen, ein bisschen zu plaudern, um am Ende entscheidende Informationen zu bekommen. Karl hat sehr gute Kontakte zu Juristen, ich habe mich auf die Stadtpolitik und das Rathaus konzentriert. Ein komplexes Thema wie die Rathausaffäre mit ihren rechtlichen und politisch-strategischen Fragen lässt sich nur im Team bearbeiten.
Der Oberbürgermeister warf Ihnen vor, Akten illegal beschafft zu haben. Was löste die Anschuldigung bei Ihnen aus?
Karl Doeleke: Der Angriff des Oberbürgermeisters hat mich erstmal sprachlos gemacht. Denn natürlich halten wir uns bei der Recherche an die Gesetze. Und dass der OB eine Anfrage der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zu Details aus der Ermittlungsakte nicht beantwortet und stattdessen in einer Pressemitteilung der Stadt behauptet, wir hätten uns die Informationen illegal beschafft – das hat es so auch noch nicht gegeben.
Ich war im ersten Moment auch verunsichert – und das war ja wahrscheinlich auch das Ziel des OB. Aber unsere Chefredaktion und auch der Verlag hatten da zum Glück eine ganz klare Haltung: Das lassen wir uns nicht gefallen. Das war für mich sehr beruhigend.
Und das Verwaltungsgericht Hannover hat den OB dann ja auch klar in die Schranken gewiesen und ihm verboten, seine absurde Behauptung noch einmal zu wiederholen. Ich frage mich seitdem: Was wäre denn, wenn du freier Journalist wärst, ohne Chefredaktion und MADSACK-Juristen im Rücken, die dich unterstützen? Vielleicht hätte der Einschüchterungsversuch des OB da gefruchtet.
Bestätigen Ihre Recherchen, wie wirkungsvoll Lokaljournalismus sein kann?
Andreas Schinkel: Unsere Berichte zur Rathausaffäre haben mit gewisser Sicherheit dazu beigetragen, dass die Staatsanwaltschaft Hannover Ermittlungen gegen Spitzenbeamte im Rathaus eingeleitet hat. Das sieht übrigens auch die Staatsanwaltschaft so. Büros und private Wohnungen wurden durchsucht, der OB musste sein Handy abgeben.
Am Ende erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen schwerer Untreue. Das hat schließlich dazu geführt, dass Hannovers Oberbürgermeister zurücktritt – eine größere Wirkung von Lokaljournalismus ist kaum vorstellbar.
Ist die Rathausaffäre nun beendet?
Karl Doeleke: Nein, das begleitet uns ziemlich sicher noch eine Weile. Die spannende Frage ist jetzt: Lässt das Landgericht die Anklage zu und kommt es zu einem Prozess, in dem die gesamte Affäre noch einmal öffentlich aufgerollt wird? Wer weiß, was da noch alles hochkommt.
Außerdem folgen auf das strafrechtliche Verfahren noch die Disziplinarverfahren, in denen für Schostok, Härke und Herbert viel auf dem Spiel steht. Je nach Ausgang des Strafverfahrens könnten sie ihren Anspruch auf die beamtenrechtliche Versorgung verlieren. Und schließlich gibt es im Herbst ja auch noch eine Neuwahl des Oberbürgermeisters, die spannend wird. Mitten im Wahlkampf liefe außerdem die Gerichtsverhandlung wegen schwerer Untreue – wenn das Landgericht das Hauptverfahren denn eröffnet.
Mit ihrer Berichterstattung zur Rathausaffäre gewannen die beiden HAZ Redakteure den August-Madsack-Preis 2019. Den Beitrag zur Preisverleihung finden Sie hier auf dem MADSACK-Blog.
Foto: Tim Schaarschmidt